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Atypische Weidemyopathie – Hypoglycinvergiftung beim Pferd

In den letzten Jahren scheint es vermehrt Fälle der „Atypischen Weidemyopathie“ zu geben, dies mag allerdings auch auf eine größere Aufmerksamkeit der Tierärzte und Pferdebesitzer zurückzuführen sein. Gleichzeitig wird diese Krankheit inzwischen besser verstanden
Es gibt zahlreiche Hinweise, dass es sich um eine Vergiftung mit Hypotoxin handelt.

Vergiftung durch Bergahornsamen 

Die Erkrankung wurde bisher nur im Zusammenhang mit Bergahorn (Acer pseudoplatanus) in Europa und Eschen-Ahorn (Acer negundo) in den USA festgestellt. Auch andere Arten der Gattung Acer können das Toxin produzieren, Pferde kommen aber selten mit ihnen in Kontakt. Giftig sind zum Beispiel der Fächerahorn (Acer palmatum), Vermont-Ahorn (Acer spicatum) und ZuckerAhorn (Acer saccharum), die gelegentlich in Parks und Gärten zu finden sind. Der häufig vorkommende Feldahorn (Acer campestre) produziert hingegen kein Toxin. Während Samen und Keimlinge des Bergahorns toxisch sind, enthalten die Blätter kein Gift. Schätzungen zufolge sind 26,5 mg Hypoglycin A nötig, um bei einem 500-kg-Pferd Vergiftungserscheinungen auszulösen. Die Toxinkonzentration in den Samen variiert stark, sodass zwischen 32 und 9000 Samen eine Erkrankung auslösen. Pferde sind individuell unterschiedlich empfänglich für die Vergiftung.

Prävention 

Pferdebesitzer, auf deren Grundstück Bergahorn wächst, sollten Bereiche abzäunen, in welche die Samen wahrscheinlich fallen. Es ist damit zu rechnen, dass Samen dreimal so weit fliegen wie der Baum hoch ist und bis zu 100 Metern hoch. Die Besitzer müssen regelmäßig kontrollieren, wann und wo Samen fallen. Die Pferde sollten jeden Tag nur für ein paar Stunden nach draußen kommen und die jüngsten Pferde müssen am weitesten von den Bäumen weg gehalten werden. In Hochrisikozeiten sollte die Besatzdichte der Weiden reduziert und zugefüttert werden, besonders wenn das Grasangebot begrenzt ist. Fette und Öle sollten in diesen Perioden oder bei Verdacht auf Erkrankung nicht zugefüttert werden. Weil Hypoglycin wasserlöslich ist, brauchen die Pferde immer Zugang zu frischem Wasser und dürfen nicht aus Flüssen oder Teichen trinken, die sich unter Bäumen befinden, oder auf sumpfigen Wiesen grasen. Vitamine und Mineralien sollten supplementiert werden und ein Salzleckstein zur Verfügung stehen. Welchen Effekt regelmäßiges Mähen hat, ist unbekannt.

Klinik und Diagnose 

Die meisten klinischen Anzeichen der Hypoglycin-Vergiftung sind zurückzuführen auf Muskelschwäche (Steifheit, Tremor, Bewegungsunlust, Lethargie, niedrig getragener Kopf, Dysphagie) oder Schmerzen (Schwitzen, Depression, gastrointestinale Symptome). Wenn die Atemmuskulatur betroffen ist, resultiert eine schnelle, flache Atmung. Tachykardie und Arrhythmien können als Folgen der Kardiomyopathie auftreten. Todesfälle sind auf Herz- oder Lungenversagen zurückzuführen. In über 90 % der Fälle tritt Pigmenturie auf. Bei Verdacht auf Hypoglycin-Vergiftung sollte daher ein Katheter geschoben und Urin gewonnen werden. Eine rot-braune Verfärbung bestätigt im Zusammenhang mit anderen Symptomen die Diagnose. Die Muskelenzyme im Blut sind nicht unbedingt schon bei Einsetzen der klinischen Symptome erhöht. Kreatinkinase steigt als erstes an und erreicht innerhalb von Stunden oder Tagen bis zu 7 000 000 u/l. Eine definitive Diagnose lässt sich über eine Typ-1-Muskelbiopsie stellen oder über den Nachweis der toxischen Metaboliten in Blut oder Urin.

Wenn ein Fall von Hypoglycin-Vergiftung auftritt

Gibt es ein Pferd mit den klinischen Symptomen einer Hypoglycinvergiftung, hat meist die ganze Herde Toxin aufgenommen und ist in Gefahr, zu erkranken. Daher sollten 

  • alle Pferde von betroffenen Weiden entfernt werden, die jüngsten zuerst, 

  • fettfrei gefüttert werden, 

  • die Pferde möglichst aufgestallt oder in Paddocks fünf Tage lang gut beobachtet werden, 

  • Aspartat-Aminotransferase und Kreatinkinase bei allen Pferden über fünf Tage lang täglich oder jeden zweiten Tag überprüft werden, 

  • Vitamine und Mineralien supplementiert werden.

Sobald eines dieser Pferde matt wirkt oder erhöhte Muskelenzyme hat, sollte der Urin kontrolliert und überlegt werden, es sofort zu einer Klinik zu transportieren.

Prognose und Therapie

Die Prognose einer Hypoglycin-Vergiftung ist schlecht, Überlebensraten liegen je nach Studie zwischen 3 und 57 %. Betroffene Pferde profitieren von einer frühzeitigen und aggressiven Therapie sowie einem sofortigen Transport in eine gut ausgestattete Klinik, solange das noch möglich ist.
Sie benötigen eine sehr intensive Pflege und Therapie:

  • Die Schmerzbehandlung (Analgesie) muss individuell angepasst werden, denn manche Pferde haben starke Schmerzen, während andere nur schwach wirken.

  • Wahrscheinlich ist eine Flüssigkeitstherapie indiziert, um eine Hypovolämie zu korrigieren und zum Schutz gegen eine Nierenerkrankung (Nephropathie).

  • Pferde mit Hypoglycin-Vergiftung sollten fettarm und faserreich gefüttert werden.

  • Supplementieren von Vitaminen und/oder Antioxidanzien (eine Studie konnte als einzige Behandlung mit messbar positiver Auswirkung das Supplementieren von Vitaminen und/oder Antioxidanzien identifizieren).

  • Festliegende Pferde sollten möglichst in sternaler Position gehalten und alle paar Stunden bewegt/gedreht werden.

  • Intranasaler Sauerstoff kann hilfreich sein.

  • Besteht Verdacht auf eine Aspirationspneumonie sind Antibiotika indiziert.

  • Die Herzfunktion sollte gut überwacht und Arrhythmien oder eine ventrikuläre Tachykardie ggf. therapiert werden.


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